La Gomera

Lange brüte ich an diesem Morgen über der Landkarte der Nachbarinsel La Gomera. Beim Anblick der vielen schönen Kurvenstraße beschließe ich spontan nicht nur einen Tag, sondern zwei Tage dort zu verbringen. Schnell buche ich über ein Online-Buchungsportal ein Hotel für die nächste Nacht und fahre dann direkt zum Hafen. Die etwas günstigere Frühfähre ist natürlich schon längst abgefahren. Bleibt mir noch die Expressfähre. Kurz entschlossen buche ich und freue mich nun das interessante Schiff mit fast 50.000 PS kennenzulernen. Kurz nach der Hafenausfahrt beschleunigt das Schiff merklich und rauscht mit über 35 Knoten in nur 45 Minuten hinüber zur kleinen Nachbarinsel La Gomera.

Dass in La Gomera die Uhren anders oder besser gesagt, langsamer gehen, merke ich sofort. Kaum Autos sind in der größten Stadt der Insel, San Sebastián unterwegs und alles sieht nach deutlich sanfterem Tourismus aus als in Teneriffa. Zunächst fahre ich direkt den Berg hinauf in Richtung des Valle de Hermigua und freue mich bereits nach wenigen Kilometern über die wunderschöne Straße und die sanften Kurven. Langsam umgibt mich auch der für La Gomera so typische Lorbeerwald und ich atme die frische nach Pinien duftende Luft tief ein. Am Scheitelpunkt der Bergstraße führt diese recht spektakulär hinunter ins Tal. Faszinierend liegt der kleine Ort Hermigua im Tal, umrahmt vom tiefen Grün der vielen Bananenplantagen. Direkt gegenüber dem malerischen Kirchplatz finde ich mein Hotel für diese Nacht. Eine romantische Villa wurde perfekt zum Hotel umgebaut ohne den besonderen Charme des Hauses zu verlieren. Kaum besser hätte ich wählen können.

 

Doch noch ist es erst Nachmittag und so steige ich gleich wieder auf mein Motorrad. Schon die Fahrt hinüber nach Augulo fasziniert mit Blicken auf das malerische Dorf Augulo während am Horizont Teneriffa mit dem majestätisch aufragenden Vulkan Teide es schwer macht sich auf die Straße zu konzentrieren. Doch Konzentration ist unbedingt notwendig, denn nun folgt ein Feuerwerk aus Kurven, Steigungen und Gefällen. Vierzehn Kilometer sind es hinüber nach Vallehermoso und kaum eine Gerade stört den Kurventanz. Tief durch das Gebirge führt mich der Weg langsam wieder hinauf auf die Höhe. Ein Wegweiser zum Valle Gran Ray macht mich neugierig, soll dies doch ein besonders schöner Flecken der Insel sein. Und hier sehe ich zum ersten Mal auf La Gomera die Verwüstungen die das Feuer der vergangenen Monate hinterlassen hat. Selbst die dicken Stämme der Palmen sind pechschwarz verkohlt. Ein Anblick der Traurigkeit hinterlässt. Zum Glück sind weiter unten im Tal keine Feuer ausgebrochen.

 

Hübsch und malerisch ist der kleine Ort Vuetas. Enge Gassen, kleine Läden, stilvolle Restaurants und Cafés prägen den Ortskern. Und auch, dass der Ort einmal das Wunschziel der alternativen Szene war, ist zu erahnen, gibt es doch noch einige Geschäfte mit esoterischem Warenangebot. Völlig verliere ich Zeit und Raum und genieße einfach nur bei einem gemütlichen Café das Leben. Die aber nun schon langsam untergehende Sonne mahnt mich zum Aufbruch. So lasse ich es recht flott angehen, hinaus aus dem Valle Gran Ray, hinauf in den Nationalpark. Die TF-713 führt nun fast eben durch dichten Wald, Wald dessen Bäume mystisch mit Moos bewachen sind, welches wie Watte von den Bäumen hängt. Langsam umgibt mich die Kühle des Abends und mein Scheinwerfer tastet sich entlang der sanften Kurvenstraße. Auf Höhe des Weilers Zarota gibt es eine Abkürzung hinüber ins Valle de Hermigua, so dass ich kurz nach Einbruch der Dunkelheit wieder in Hermigua bin. Als einziger Hotelgast in dieser Nacht genieße ich noch lange den Sternenhimmel über La Gomera.

Erst als die ersten Glockenschläge der nahen Kirche, um neun Uhr morgens, ertönen wache ich an diesem Tag auf und die Sonne scheint bereits ein wenig zu mir ins Zimmer. Aber warum sollte ich auch hetzen, geht doch meine Fähre erst um fünf Uhr abends wieder hinüber nach Teneriffa. Und so genieße ich in vollen Zügen das üppige und sehr geschmackvolle Frühstück. Ganz besonders schmecken die vielen reifen Früchte, die allesamt von der Insel stammen. Doch dann zieht es mich wieder mit Macht auf den Motorradsattel. Vorgenommen habe ich mir für heute, die Strecken abzufahren, die ich gestern wegen der hereinbrechenden Dunkelheit ausgelassen habe.

 

Wieder vorbei an Agulo zweigt kurz darauf nach links die Straße zum Nationalpark ab. Gleich zu Beginn geht es in vielen verschlungenen, teils engen Kurven stetig bergauf. Bald umgibt mich wieder dieser einzigartige Nebelwald, der hier schon seit tausenden von Jahren wächst. Da die Hänge, an denen insbesondere die Lorbeerbäume wachsen, zu steil und unwegsam sind, wurden diese nicht landwirtschaftlich genutzt. So konnte diese typische Kanarenkulturlandschaft überleben. Am Scheitelpunkt der Straße zieht es mich wieder hinüber in Valle Gran Ray, da ich noch eine Bio-Finca besuchen möchte. Nochmals vorbei an den verbrannten Palmen genieße ich den Blick hinaus auf strahlend blaue Meer. Klein aber fein präsentiert sich dann die Finca, die ausschließlich biologisch dynamisch tätig ist. Und ich fülle meinen Einkaufskorb mit leckeren Bananen und Äpfeln. Zurück auf der Berghöhe finde ich kurz nach dem Ortsausgang von La Caldera eine winzige Straße, die mitten durch die kleinen Ortschaften führt und nach drei Kilometern wieder auf der normalen Straße endet.

 

Mitten im Ortschäftchen Arture findet sich die von mir schon gesuchte Abfahrt hinauf nach Las Haas. Schon die ganze Zeit genieße ich es nur ab und zu einem Auto zu begegnen, hier bin nun völlig mit mir und meinem Motorrad allein. Doch mein Glücksgefühl wird jäh getrübt als ich um die nächste Kurve biege. Verbrannte Erde soweit das Auge reicht. Ich bin froh, dass wenigstens am weit entfernten Horizont noch grüne Bereiche zu erkennen sind. Weiter in Temocodá entdecke ich durch Zufall einen Wegweiser der zu einer Bananenplantage im Ort La Dama hinweist. Kaum Vegetation umgibt mich auf dieser Seite der Insel. Lediglich links und rechts der sich zum Meer hin schlängelnden Straße befinden sich einige Bananenplantagen. Aber auch hier hat es offensichtlich schon bessere Zeiten gegeben, denn nicht mehr alle Felder sind bepflanzt. Im Örtchen La Dama ist außer wenigen Wohnhäusern nichts zu finden. Etwas Abwechslung bietet die Verladung von Bananen auf einen LKW. Auf meine Frage nach dem Gewicht einer Staude staune ich nicht schlecht, dass diese zwischen 40 und 50 kg schwer sind, obwohl diese für den Transport auf das spanische Festland noch längst nicht reif sind. Steil geht der Weg weiter hinunter ans Meer und führt in eine schmale Schlucht an deren Ende die Straße endgültig endet. Reste eines Hafens und einer alten, schon leicht verfallenen Bananenverladestation zeugen davon, dass hier früher die Bananen gleich auf Schiffe verladen wurden und nicht wie heute erst per LKW nach Teneriffa transportiert werden.

 

Von hier führt nur eine Trekkingroute weiter, deshalb fahre ich den gleichen Weg, über den ich gekommen bin, wieder den Berg hinauf um aber gleich drei Kilometer später rechts abzubiegen. In vielen Windungen geht es vorbei an Alajeró Richtung Meer vorbei am kleinen Flugplatz nach Playa de Santiago. An der Plaza Nuestra Señora del Carmen an der Hafenpromenade, dem Mittelpunkt des Dorfes, gönne ich mir den letzten Kaffee auf La Gomera und lasse die bisher gefahrenen 300 Kilometer vor meinem geistigen Auge vorbeiziehen. Dann sind es noch einmal 29 Kilometer Kurvencruising nach San Sebastián de la Gomera. In San Sebastian zeugen Bilder in der alten Kirche Iglesia de la Ascunción davon, dass hier der Seefahrer Christoph Columbus und seine Mannschaft 1492 gesegnet wurden, bevor sie von La Gomera nach Westen aufbrachen und Amerika entdeckten. Mich hingegen führt der Weg nach Osten, wieder hinüber auf die Vulkaninsel Teneriffa.

 

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