Die Dominikanische Republik stand und steht in unserem Verständnis für den „All-inclusiv Urlaub“. Doch will man das wahre Herz der Menschen erleben, das einfache Leben auf dem Land sehen, den Rhythmus des echten Merengue spüren, dann muss man dieses Land unmittelbarer bereisen. Und was wäre dazu besser geeignet als ein kleines Motorrad, das Hauptverkehrsmittel der einheimischen Bevölkerung. Von Karl Spiegel (Text und Fotos) und Barbara Müllner (Fotos).
Eigentlich sollten wir die winzige „Cabana“ Ferienanlage gar nicht verlassen. Ein palmengesäumter Traumstrand wie aus dem Bilderbuch. Palmengedeckte, alleinstehende Bungalows mit einer riesigen Holzterrasse und davor das aquamarinblaue Meer. Doch die Lust auf Motorradfahren, die Lust diese große Insel wenigstens ein klein wenig zu erkunden, die Lust auf die Begegnung mit den ganz normalen Menschen ist groß, sehr groß. Und so fahren wir schnellstmöglich mit dem Taxi in das nahe Cabarete. Josef, der Chef von „easyridertours“, hat uns wohl schon erwartet, denn mit einem herzerfrischenden Lächeln streckt er uns die Hand entgegen kaum dass wir dem Taxi entstiegen sind.
Doch zunächst klagt er uns sein Leid über den Niedergang des Tourismus entlang der Nordküste, insbesondere in Cabarete, der einstigen Hochburg von Party-, Surf- und AI-tourismus. Die meisten der kleinen und mittelgroßen Hotels sind geschlossen. Restaurants und Bars haben in großer Zahl Bankrott anmelden müssen. Der All-inclusive Tourismus ist längst weitergezogen, weitergezogen in Richtung der großen und vor allem neuen AI-Anlagen in der Region Punta Cana. Auch bei unserem Motorradvermieter finden sich nur noch fünf Leihmotorräder von einst über 30. Doch wir wollen mehr wissen von Josef. Wir wollen Insider Informationen über die kleinen, unbekannten Ecken der Nordküste der Dominikanischen Republik. Und die bekommen wir auch und tragen diese in unsere Landkarte ein. Nur auf die Frage nach der Besichtigung einer Rum-Destillerie muss Josef passen. Die einzige in der Nähe, die Firma Brugal, zeigt lediglich touristisch aufgepäppelte Filme und eine Abfüllanlage „Made in Germany“. Die eigentliche Brennerei bleibt dem Besucher verschlossen.
Doch allmählich wollen wir endlich zum Motorradfahren kommen.
Die Yamaha XTZ 125, die wir übernehmen, ist offensichtlich ziemlich in die Jahre bekommen. Sie läuft zwar schnell an, stirbt aber ebenso schnell, wegen fehlendem Leerlauf, wieder ab. Aber erst mal egal, einfach ein wenig auf Gas halten, dann geht das schon. Viel schlimmer wiegt da schon, dass das Teil keinen einzigen Meter geradeaus fährt. Als wären wir betrunken eiern wir zunächst zurück in unsere Bungalowanlage. Damit längere Strecken zu fahren macht wenig Sinn und wir beschließen am nächsten Tag nochmal zu Josef zu fahren und eine andere Maschine zu übernehmen. Und, als hätte er es wieder gewusst, er empfängt uns mit der Nachricht er habe ein sehr gute 180er für uns. Und die, ja die, steht wirklich gut da. Rundherum funktioniert alles und das Dashboard hat mehr Funktionen wie bei manchem Mittelklassemotorrad zuhause. Es ist ein indisches Fabrikat von TVS. Irgendwie kommt mir der Name TVS bekannt vor. Und es fällt mir ein,. TVS ist der indische Kooperationspartner von BMW-Motorrad.
Wir fahren entlang der Nordküste nach Osten. Kaum Verkehr gibt es hier und die Straße ist ungewöhnlich gut asphaltiert. Im nächsten Ort, einem typischen Straßendorf, stehen die kleinen Häuschen rechts und links der einzigen Straße. Gleich hinter den Häusern liegen die Felder der Einwohner, die hauptsächlich zur Eigenversorgung bewirtschaftet werden. Vergeblich suchen wir irgendeinen Hinweis auf den Abzweig der Straße hinauf in die Berge. Doch hier in Sabaneta de Yásica findet sich nichts. Braucht es auch nicht, denn nur eine einzige, etwas breite Straße führt aus dem Dorf hinaus in Richtung der Küstenkordillieren, mit dem fast lyrischen Namen Cordillero Septentrional. Was jetzt folgt ist Genuss pur.
Nicht nur die vielen süchtig machenden Kurven hinauf auf über 1.000 Meter über Meereshöhe, auch die weit in die Ferne reichenden Ausblicke begeistern auf diesem Streckenabschnitt. Langsam wechselt auch die Vegetation ihr Gesicht. Begleiten uns anfangs noch viele Palmen, so sind es nun niedrige Sträucher und die Bäume der Kakaopflanze. Doch was ist dies alles gegen den Kulturschock der uns rechts und links der Straße zeigt. Es ist das einfache, das sehr einfache, Leben der Inselbewohner abseits der großen Städte und Touristenzentren. Was bei uns bestenfalls als mittlere Schrebergartenhütte durchgehen würde, ist das Haus für eine ganze, vielköpfige Familie. Doch für das Lachen der Kinder, das Strahlen in den Gesichtern der Erwachsenen stellt dies offenbar keinen Hinderungsgrund dar. Da heute Sonntag ist, findet das Leben neben und auf der Straße statt. Überall werden die weißen Plastikstühle rausgestellt, man plaudert, man scherzt, man lacht, man freut sich im Kreis der Familie und … man winkt und lächelt uns zu.
Je weiter wir in die Berge kommen, desto kühler wird es. Die schwüle heiße Luft am Meer weicht der Frische. Dass es mittlerweile Mittagszeit geworden ist, ist leicht zu erkennen oder besser, zu riechen. An kleinen Garküchen wird alles gebrutzelt und gegrillt was der heimische Garten und die eigene Tierzucht zu bieten haben. So wetteifern gebratene Hühner, knusprige Sparribs und gegrillte Bananen mit herrlichem Duft um die Gunst der hungrigen Käufer. Und, wie könnte es anders sein, der so typische Merengue Sound schallt aus allen Küchen und Bars. Nichts für empfindliche Ohren, würde doch die Lautstärke selbst in einer Disko als laut empfunden werden.
Leicht hörgeschädigt geht es von der Passhöhe, in herrlich kurvenschwingendem Rhythmus, hinunter ins Tal. Die nächste größere Stadt empfängt uns mit schwül heißem Gegenwind. Irgendwo hatten wir gelesen, dass dieses Örtchen sehenswert sei. Gefunden haben wir jedoch nichts, außer vielen Gebrauchtwagenhändlern mit europäischen Nobelkarossen. Offensichtlich muss wohl gerade diese Gegend sehr wohlhabend sein. Denn selbst für den gerade vor uns stehenden, gebrauchten SUV werden 45.000 US$ aufgerufen. Beim einem durchschnittlichen Jahreseinkommen der Dominikanischen Bevölkerung von rund 5.250 US$ sind dies über acht Jahresgehälter. Auch muss es offensichtlich viel Geld aus der Staatskasse gegeben haben, anders ist es nicht zu erklären, dass die nächsten 25 Kilometer Straße sehr breit angelegt sind, dass überall große Hinweisschilder stehen und sich diese Straße nicht von den besten Straßen zuhause unterscheidet. Und so fliegen wir mit unserer 180er mit weit über 90 km/h dahin und erreichen den Ort Salcedo. Salcedo wäre kaum einer Beschreibung wert, gäbe es nicht das Denkmal der drei Schwestern. Die Schwestern Mirabel waren dominikanische Regimegegnerinnen und wurden im Auftrag des Diktators Trujillo im Jahr 1960 ermordet. Trujillo selbst wurde im Mai des folgenden Jahres bei einem Anschlag erschossen. Die Diktatur des Trujillo-Clans endete, nach 30 Jahren, im November 1961. Im nächsten Ort, Tenares, wollen wir die Straße wieder über das Gebirge hinüber an die Nordküste nehmen. Doch jegliche Beschilderung fehlt. Völlig ziellos fahren wir umher.
Ein Wachmann vor einem öffentlichen Gebäude hilft uns weiter. Ohne ihn hätten wir den Einstieg wohl nie gefunden, sehen doch alle Querstraße in dieser Stadt, für unsere Augen, völlig gleich aus. Aus der stehenden Hitze des Tales bergauf schenkt uns die Straße pures Kurvenvergnügen, wenn auch an vielen Steigungen die geringe Leistung unseres Motorrades ein hinunter schalten in den zweiten Gang erforderlich macht. Aber aus jeder Situation lässt sich Positives gewinnen. So bleibt uns viel mehr Zeit die Augen rechts und links schweifen zu lassen. Durch ganze Kakaopflanzenwälder, vorbei an duftenden Hibiskussträucher ist viel zu schnell die Passhöhe erreicht. Von hier geht es ungewöhnlich steil zur Küste hinunter. Doch die Bremsen unseres Motorrades erweisen sich als erstaunlich standfest und zeigen kaum Fading. Vor dem größeren Ort Caspar Hernández endet die rasante Talfahrt und wir erreichen die Küstenstraße. Kaum Verkehr auf dieser einstigen, vor Verkehr überquellenden Straße zeigt auch hier den Niedergang dieser einstigen Touristenhochburg. Wir entgegen, empfinden dies alles als sehr angenehm, wir genießen das ganz normale Dorfleben mit den kleinen Geschäften und Läden. Wieder in Sabaneta de Yanica schließt sich der Kreis der heutigen Tour. Mit leicht schmerzendem Hinterteil und ziemlich tauber Gashand schmeckt das einheimische Bier der Marke „Presidente“ natürlich ganz besonders gut.
Die nächsten eineinhalb Tage ist an Motorradfahren nicht zu denken, denn Dauerregen in karibischer Stärke, dazu starker Wind, Blitz und Donner laden nicht gerade zum Fahren ein. Doch gegen Mittag bricht wieder die Sonne durch und wir können die geplante Tour in die nächstgelegene Stadt, Puerto Plata antreten. Die Strecke ist fahrerisch völlig unspektakulär. Spektakulär hingegen ist die von spanischen Eroberern errichtete Festung. Das älteste Teil wurde mittlerweile gut restauriert und beherbergt heute ein durchaus sehenswertes Museum. Die umliegenden Gebäude, die früher einmal eine gefürchtete Strafanstalt waren, verfallen zusehends. Die Erkundung der historischen Innenstadt machen wir zu Fuß. So bleibt genügend Zeit die vielen pittoresken Holzhäuser, gestrichen in bunten Farben, genussvoll zu betrachten und in Ruhe Fotos zu machen. Viele Exilkubaner leben und arbeiten heute in Puerto Plata. Und so finden wir ein authentisches Lokal voll im Kuba-Look. In der Musikbox läuft Musik von „Buena Vista Social Club“ und überall sind Fahnen und Erinnerungsstücke aus Kuba aufgehängt. Der Chef des Hauses fragt uns ob wir nicht eine deutsche Fahne dabei haben, die würde sich gut neben der Kubanischen machen. Leider haben wir nichts dabei. Aber eine Überlegung ist dies doch, und für zukünftige Reise eine nette Option, überall ein wenig Heimat zu hinterlassen.
Auf Plastikstühlen, mitten auf der Straße, wird das Zurückgehen des Wassers abgewartet. Kein Anzeichen von Verzweiflung, kein Anzeichen von Panik. Selbst inmitten des Chaos wird uns noch freundlich zu gewunken. Mit gemischten Gefühlen fahren wir weiter nach Osten und erreichen nach 5o Kilometern die Lagune GriGri am Rande des Dörfchens Rio San Juan.
Als ich hier vor über 15 Jahren das erste mal war, war hier die touristische Hölle los. Bus an Bus voller Touristen wurde angekarrt. Hinunter zu den Booten, die die Lagune hinaus aufs offene Meer befuhren. Heute ist davon nichts mehr zu spüren. Nicht ein einziges Boot wartet auf Kunden. Nur ein französisch geführtes Restaurant hat offen und wird auch landsmannschaftlich von französischen Touristen genutzt. Aber das Essen ist exzellent und sehr günstig. Von der Terrasse können wir den Blick auf das türkisblaue Wasser der Lagune genießen. Nur wenige Meter entfernt führt ein Trampelpfad in die Mangrovensümpfe. Eine, fast unheimliche Stille, umgibt dieses Naturparadies. Nur schwer können wir uns davon lösen.
Im „old style“ wollen wir heute ein paar gute alte Ansichtspostkarten versenden. Der Kauf derselben ist im einzigen Laden am Ort schnell erledigt. Der Kauf von Briefmarken hingegen ist eine ganz besondere Geschichte. Denn diese bekommen wir im offiziellen Postamt. Doch dieses Postamt unterscheidet sich so ganz und gar von allem, was wir uns bisher von einem Postamt vorgestellt haben. Ein grauer Betonbau, ein verrostete Eingangstüre führt uns zum Postschalter. Nahezu nichts füllt dieses Büro, nur ein klappriger alter Schreibtisch, ein verrosteter Stuhl und ein Deckenventilator ist sehen. Die Farbe blättert von den Wänden und der Decke. Und weit und breit ist niemand zu sehen. Wir finden eine Mitarbeiterin im sonnenbeschienen Innenhof. Mit herzöffnendem Lächeln fragt sie nach unserem Anliegen. Briefmarken nach Deutschland für zehn Postkarten würden wir gerne kaufen, entgegnen wir. Etwas verlegen blättert sie in einem alten Register und sucht nach entsprechenden Briefmarken. Etwas unschlüssig fragt sie ihren Kollegen und zusammen haben sie die Lösung für uns. 30 Briefmarken zu je 15 Pesos und 10 Briefmarken zu je 5 Pesos geben zusammen je 50 Pesos pro Postkarte. Und dann erklären sie uns, einfach zu herzig, wie wir die vielen einzelnen Briefmarken auf die Postkarte kleben sollen. Als sie uns zum Abschied noch liebevoll nachwinken, können wir eine Träne der Rührung nicht verdrücken so berührend wirkt diese Szene. Das war ein ganz besonderer Moment.
Immer noch die Gesichter dieser besonderen Menschen vor Augen fahren wir aber dennoch weiter. Rund fünfzehn Kilometer weiter biegt eine Naturstraße zur „Laguna Azul“ zur blauen Laguna ab. Hier scheinen schon seit langer Zeit kaum mehr viele Touristen gewesen zu sein. Der Kiosk ist geschlossen bzw. wird gerade etwas renoviert. Zwei Arbeiter winken freundlich. Sonst ist absolut nichts los. Mit unserem Motorrad können wir bis fast an die kleine Schlucht heranfahren. Tiefes aquamarinblaues Wasser füllt ein rund 30 mal 30 Meter großes Wasserloch. Wir können von unserem Standpunkt nur erahnen wie es unterirdisch weitergeht bis zum rund zwei Kilometer entfernten Meer. Vereinzelt lassen sich sogar schon Fledermäuse blicken, die oberhalb der Lagune in den Felsspalten ihren Tagesschlaf halten.
Ein weiteres Highlight an landschaftlicher Schönheit erreichen wir auf der Rückfahrt, auf einem kurzen Weg hinunter ans Meer. Die „Playa Diamante“ macht ihrem Namen alle Ehre. Wie ein funkelnder Diamant liegt die kleine, schmale Meeresbucht umrankt von Felsen und Bäumen in der mittäglichen Sonne. Wirklich ein Platz um die Seele baumeln zu lassen. Das genießen auch zwei ältere britische Herren die uns unbedingt vor dieser grandiosen Kulisse fotografieren wollen. Auch hier spüren wir die besondere Energie, die besondere Schönheit dieser Insel fernab von Tourismus und dem Lärm der lauten Welt.
Erschöpft von so viel Eindrücken, erschöpft von über 300 Kilometern auf unserm Motorrad, fahren wir mit einem breiten Lächeln zurück zu unserer Oase der Ruhe. Von dort wandern wir auf einem 30minütige Spaziergang entlang des türkisblauen Meers zu einer kleinen Landspitze. Hier sind die anbrandenden Wellen am Größten. Kein Wunder, dass sich hier die Surfer treffen. Viel ist heute allerdings nicht los. Nur eine Handvoll stürzen sich den Wellenbergen entgegen um dann in atemberaubender Geschwindigkeit auf dem Wellenkamm krönend gekonnt die Welle zu reiten. Es ist, als wäre die Zeit irgendwann vor 25 Jahren stehen geblieben, dürfte sich doch die einzige Strandbar seit dieser Zeit nicht verändert haben. Die Füße im warmen Sand, ein kühles Bier in der Hand, der Blick durch Palmenwedel hinaus auf Meer, alle Zeit der Welt, einfach nur paradiesisch schön.
Aber schon am nächsten Tag zieht es uns wieder hinaus. Wir wollen noch einmal hinauf in die Berge, noch einmal die Kühle des Nebelwaldes spüren. Da wir wissen, dass dies unsere letzte Tour mit unserem Motorrad ist, lassen wir uns ganz besonders viel Zeit. Wir genießen die vielen Kurven, die hügeligen Berg- und Talstrecken, die steilen Anstiege und die kleinen Hüttendörfer. An einem kleinen Kaufladen machen wir Rast. Die Besitzerin hat uns wohl ins Herz geschlossen und setzt sich gleich zu uns und erzählt und erzählt. Obwohl wir nur einen Bruchteil davon wirklich verstehen, macht es Spaß, Teil von allem sein zu dürfen. Und, wenn auch nicht ganz gesellschaftsfähig, wissen wir jetzt was „leck mich am A….“, auf Spanisch heißt. Denn dies hatte sich unsere Gesprächspartnerin noch von einem Besuch ihrer deutschen Freundin, augenzwinkernd, auf Deutsch, gemerkt. Und ich hatte natürlich gleich gefragt, wie dies auf Spanisch heißt.
Wie immer, ist es für uns richtig schwer, wenn wir unser mittlerweile ins Herz geschlossenes Motorrad wieder abgeben müssen.
Doch die Tour zur Inselhauptstadt Santo Domingo, zum Unesco-Weltkulturerbe, zur Wiege der spanischen Kolonisation wollen wir mit dem Linienbus machen, ganz so wie es die einheimische Bevölkerung macht, wenn sie in Hauptstadt fährt. Doch dies, dies ist eine andere Geschichte.
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